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Italienische Zuwanderer um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert

Das Einwohnerbuch (Zuzugsbuch) der Gemeinde Dillweißenstein von 1892 bis 1902 (Stadtarchiv Pforzheim, C 2 Nr. 6) erlaubt Einblicke in die Wanderungsbewegung der Bevölkerung. Der erste Eintrag stammt von Johannes Hesselschwerdt, geb. am 20. April 1856 in Meistern (heute ein Stadtteil von Bad Wildbad), Oberamt Neuenbürg, Zuzug am 8. August 1892 von Gräfenhausen und Wegzug am 1. Februar 1901 nach Enzberg; sein Beruf ist aufgrund einer Fehlstelle nicht lesbar. Der letzte nummerierte Eintrag Nr. 3819 von Friedrich Merkle, geb. am 24. Juli 1883 in Conweiler, ledig, Bijoutier, hält den Umzug von Conweiler nach Dillweißenstein am 19. September 1902 fest.

In den dazwischenliegenden zehn Jahren sind erstaunlicherweise rund 290  italienische „Gastarbeiter“ aufgelistet. Das berufliche Tätigkeitsfeld dieser vornehmlich ungelernten Migranten war hauptsächlich das Baugewerbe; 128 Erdarbeiter, 35 Mauer, 12 Steinhauer und 14 Steinbrecher waren darunter; die 83 nur als „Taglöhner“ bezeichneten Männer waren vielleicht auch in dieser Branche tätig. Große Projekte wie Wasserleitungs- und Abwassersysteme oder in Pforzheim die Enzregulierung standen um die Jahrhundertwende an. Die Erdmassen mussten mit reiner Muskelkraft bewegt werden, kein Wunder, dass zahllose Erdarbeiter oder Grabarbeiter benötigt wurden. Die dampfbetriebenen Bahnen (siehe Foto neben Text, Enzregulierung 1910, Blick von der Auerbücke bis zum Inselsteg, Stadtarchiv Pforzheim S 1, 10/1-III-10r) zum Abtransport des Aushubs fanden höchstwahrscheinlich nur bei Großprojekten wie der Enzregulierung ihren Einsatz. Bagger und andere motorisierte Hilfsmittel gab es zur damaligen Zeit noch nicht.

Der Stuttgarter Sprachdozent Giuseppe De-Botazzi charakterisiert seine italienischen Landsleute im Jahr 1893 als Arbeiter in Deutschland wie folgt:

Der italienische Arbeiter ist ein guter Arbeiter. Er ist wenig anspruchsvoll in seinen Bedürfnissen und genügsam. Dass der italienische  Arbeiter denjenigen anderer Länder vorgezogen wird, erklärt sich dadurch, dass er geschickter, fleißiger und enthaltsamer als die anderen ist. Tatsächlich arbeitet der italienische Arbeiter hart, nährt sich von wenig und begnügt sich mit geringer Entlohnung. […] Insgesamt gesehen, sind sie diszipliniert und respektieren die Gesetze des Gastlandes; erfahren sie aber als Einzelne eine Beleidigung, greifen sie leicht zum Messer, ohne sich dabei jedoch jemals zu Niederträchtigkeiten hinreißen zu lassen. (Aus Giuseppe De-Botazzi: Italiani in Germania – Als Italiener im Deutschland der Jahrhundertwende, Koblenz 1993, Italienische Erstausgabe aus dem Jahr 1895)

Ob diese Einschätzung der Wahrheit im positiven wie negativen Sinn entsprach, kann leider nicht beurteilt werden.

Der größte Teil der Italiener kam, soweit es sich ermitteln ließ, aus Norditalien. Der Dillweißensteiner Gemeindebedienstete war sich mit der Schreibweise der Orts- und Personennamen nicht immer einig. Der Ort oder die Provinz Padua schreibt er zum Beispiel auch noch als „Patua“, „Badua“ oder sogar „Podowa“  - ein einziges Mal erscheint sogar die korrekte italienische Schreibweise „Padova“; eventuell lag dies an der unterschiedlichen Aussprache der italienischen Arbeiter oder an der geographischen Unkenntnis des Gemeindeschreibers. Zum Beispiel ist auch mit dem Namen „Solesine“ und „Selesine“ wohl der Ort Solesino in der Provinz Padua gemeint. Gerne verwendete er auch die deutschen Vornamen; ob zum Beispiel Paul Pellegrini nicht doch Paolo oder Alexander Spernghette nicht Alessandro hieß, ist unbekannt. Spekulativ könnte man auch annehmen, die Italiener haben zur Vereinfachung der Anmeldung bereits den deutschen Vornamen verwendet.  „Giovanni“ und „Giovani“ sind ebenso wie Johann als Vorname in den Einträgen zu finden. Vereinzelt kam ein Arbeiter im nächsten Jahr auch wieder  so wie Antonio Zongaro, der 1897 und 1898 bei Gustav Geist arbeitete und unterschiedlich geschrieben ist.

Die Verweildauer in der Gemeinde betrug in der Regel zwischen ein und fünf Monaten und lag meistens in der Zeit zwischen März und November. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren nicht die besten. Beschimpfungen wie „Makkaroni“ oder „Spaghetti“ waren an der Tagesordnung.

Die Arbeit dieser italienischen Wanderarbeiter im Hoch- und Tiefbau war sicherlich sehr anstrengend und hart. Das Leben in der Fremde ist nicht mit der heutigen Zeit zu vergleichen. Sprachliche Barrieren, Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit prägten ihren Aufenthalt in Baden – und das änderte sich auch in späteren Jahrzehnten zunächst nicht. Nur sehr selten brachte ein Arbeiter seine Familie mit, die Kommunikation mit der Familie in der Heimat war auch nur per Brief möglich.

Die Anzahl der Italiener muss aber nicht so klein gewesen sein, sonst hätte zum Beispiel die Vereinigung der Maurermeister in Pforzheim kein Schild in italienischer Sprache drucken lassen, welches die Regelung über die Bezahlung des Kochs zum Inhalt hat.

Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, dass auch drei „Papierer“, ein Kesselflicker, ein  „Herdarbeiter“ und zwei italienische Knechte unter den „ersten“ Zuwanderern waren.