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Vom Wandel des Zeitgeistes Pforzheims im 2. Weltkrieg

Für die Jahreswechsel war es auch in Pforzheim üblich, dass die Führungsebene der Stadtverwaltung ein Rundschreiben an die Mitarbeiter aufsetzte, in dem das vergangene Jahr reflektiert und das Kommende angekündigt wurde. Anhand zweier solcher Schreiben aus den Jahren 1939 und 1944 läßt sich beispielhaft die von der Verwaltungsspitze (herauf?) beschworene Stimmung zu den Jahresübergängen verglichen.

 

Das Rundschreiben von 1939 wurde vom 2. Hauptamtlichen Beigeordneten Arnold Fehlmann in Vertretung des erkrankten Bürgermeisters Hermann Kürz unterzeichnet, unter dem Beschluss von 1944 stand der Name des stellvertretendem Bürgermeisters und Stadtbaurates Ludwig Seibel. Die Schreiben sind dem Bestand B 1, Nr. 739 (Weihnachts- u. Neujahrsglückwünsche im Behördenverkehr) zugeordnet.

Im Dezember 1939 lag der Kriegsbeginn gegen Polen rund drei Monate zurück. Entsprechend der damaligen Propaganda galt der Kriegsausbruch als von Polen verschuldet, und Deutschland sah sich in einem Verteidigungskrieg. So ist im Rückblick auf 1939 von einem von „hasserfüllten Feinden aufgezwungenen Kampfe“ die Rede, in dem sich Deutschland dagegen zur Wehr setzen muss, nicht „wieder zerrissen und ohnmächtig“ niedergehalten zu werden – der Hinweis auf die noch immer als unerträglich angesehenen Friedensbedingungen des „Versailler Vertrags“ von 1919 durfte natürlich nicht fehlen. Nach offizieller Lesart befand man sich also unverschuldet in einem Krieg gegen Feinde, die das Deutsche Reich klein und schwach halten wollten, während man selbst  für einen Frieden zu kämpfen vorgab, der den Aufschwung Deutschlands in Europa und der Welt bringen würde. Dafür, so appellierte der Rückblick, hatte der Soldat an der Front ebenso seinen Teil zu leisten, wie der Arbeiter in der Heimat. Mit der Hilfe Gottes und dem Einsatz jedes Einzelnen werde man den Krieg schnell gewinnen.

Im ausgehenden vorletzten Kriegsjahr 1944 fiel das Rundschreiben entsprechend dem Kriegsverlauf weit weniger enthusiastisch aus. Die Lufthoheit Deutschlands war längst gebrochen, deutsche Städte wurden immer häufiger bombardiert; auch auf Pforzheim waren am 1. April 1944 in einem Großangriff, der ursprünglich Ludwigshafen gegolten hatte, die ersten Bomben gefallen, denen in der Südstadt 95 Menschen zum Opfer fielen. Im Sommer 1944 hatte mit der „Operation Overlord“ die alliierte Landung in der Normandie stattgefunden – ein entscheidender Erfolg, auch wenn er große Verluste forderte. Bis zum Ende des Jahres hatten die alliierten Truppen bereits die Grenze des Deutschen Reiches erreicht. Mehr denn je fühlten sich die Deutschen als Opfer ihrer Feinde, gegen deren „übermächtigen Ansturm“ man sich erwehren musste. Es ist die Rede vom „Verrat durch die Bundesgenossen“, obwohl ja Deutschland der verbündeten Sowjetunion den Krieg erklärt hatte und vom „Luftterror“ der „anglo-amerikanischen Luftgangster“. Während 1939 noch von den „tapferen Arbeitern“, die „ihren Mann stehen“ die Rede war, sprach man 1944 nur noch von „treuer Pflichterfüllung“. Auch wird an jeden appelliert, „persönliche Wünsche und Bequemlichkeiten“ zurückzustellen und sich mit „ganzer Kraft“ für das deutsche Volk einzusetzen, da man so den Sieg noch erringen könne. Das Rundschreiben endet mit dem Aufruf, Hitler als Führer zu vertrauen und nicht an ihm zu zweifeln, da er wieder „glücklichere Zeiten“ herbeiführen werde. In diesem Zusammenhang ist von einer „gläubigen Hoffnung“ an Hitler als Führer die Rede, die bezeichnenderweise den Glauben an den „Allmächtigen“, also Gott, aus dem Jahr 1939 abgelöst hat. Man kann an diesem Aufruf aber auch die tatsächlich immer stärker werdenden Zweifel an der Führung Hitlers erkennen. Immerhin hatte am 20. Juli 1944 das gescheiterte Attentat Stauffenbergs und damit einhergehend der ebenfalls gescheiterte Putschversuch einiger führender Militärs stattgefunden.

55 Tage später waren die meisten Empfänger des Schreibens nicht mehr am Leben. Ludwig Seibel machte seinem Leben am 12. März 1945 selbst ein Ende und stürzte sich von der Kämpfelbachbrücke.