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Vorbemerkungen zur Datenbank „Widerstand im Raum Pforzheim“

Zugrundeliegende Definition des Begriffs „Widerstand“

Wir folgen bei der Frage, was „Widerstand“ oder „widerständiges Handeln bzw. Verhalten“ ist, den Ausführungen von Frau Prof. Dr. Angela Borgstedt in ihrem Beitrag „Mut bewiesen – Widerstand im Südwesten“, veröffentlicht von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2017 (Borgstedt, Thelen, Weber ((Hrsg)): Mut bewiesen, S. 15‑26). Sie plädiert für einen breiten Widerstandsbegriff, der „neben dem aktiven Widerstandshandeln auch alltägliche Formen widerständigen Verhaltens“ (S. 16) umfasst. „Widerstand bedeutet Dagegenhandeln“ (S. 19), aus verschiedensten Motiven, von der Nonkonformität über die Verweigerung bis hin zur Fundamentalopposition. Nicht um die Auszeichnung einer bestimmten Gruppe von Widerständigen geht es, sondern darum, widerständiges Handeln bzw. Nicht-Handeln in der ganzen Breite und Vielfalt seiner Akteure, Zielsetzungen, Motive und Formen zu dokumentieren.

Die Datenbank enthält demnach all die Menschen, die sich in Wort, Schrift und Tat nicht dem Machtanspruch der NS-Diktatur beugten bzw. auch schon vor 1933 vor der Gefahr des Faschismus warnten.
Gegen Versuche, bestimmte Personen aus dem Kreis widerständiger Menschen auszuschließen, verweisen wir auf Lothar Frick (Direktor der Landeszentrale für politische Bildung) und Reinhold Weber (Leiter der „Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs“):
„Auch wenn ihre Motive und Ziele oftmals nicht mit unseren heutigen demokratischen Vorstellungen oder religiös-weltanschaulichen Überzeugungen übereinstimmen mögen, so ist ihr Widerstand doch letztlich immer vor dem Hintergrund seiner Zeit zu deuten und zu würdigen“ (Frick, Weber, Vorwort, S. 5).
A. Borgstedt schreibt: „Es bedurfte freilich eines langen Prozesses, um einen entsprechend integralen Widerstandsbegriff gesellschaftlich zu verankern“ (Borgstedt, Politisch motivierter Widerstand, S. 37). Sie bezieht sich damit auf den von Peter Steinbach und Johannes Tuchel, den Leitern der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, geprägten Begriff des „integralen Widerstandsverständnisses“, der die unterschiedlichen Formen und Akteure widerständigen Verhaltens umfassend einbezieht. (Steinbach: „Vermächtnis oder Verfälschung?“ S. 170-188; Steinbach, Tuchel, Stiepani: Zur Konzeption der Dauerausstellung, S. 1).

Anders als andere Dokumentationen beziehen wir uns nicht allein auf die staatliche Überlieferung, also die Akten der Verfolger, sondern auf die Aussagen der widerständigen Menschen selbst, sei es in autobiografischen Berichten, in Unterlagen der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) oder in Wiedergutmachungsanträgen. Gegner der Nazis waren nicht nur die Menschen, die Verfolgung erleiden mussten, die die Nazis in Gefängnisse oder Konzentrationslager sperrten, sondern auch die vielen bisher Ungenannten, die nicht in die Fänge der Gestapo gerieten. So lassen sich in den Akten des Sondergerichts Mannheim Personen finden, die als Zeugen benannt wurden oder deren Verfahren z.B. aufgrund einer Amnestie nicht weiter verfolgt wurden.

In der Datenbank sind auch Résistance-Angehörige aus Frankreich aufgeführt: Selbst im Gefängnis in Pforzheim haben diese Nazi-GegnerInnen versucht, sich gegenseitig moralisch zu stärken, den Zusammenhalt zu wahren, sich Botschaften per Klopfzeichen oder Kassiber zukommen zu lassen. Aus nach der Befreiung aufgefundenen Schriftstücken auf Packpapier oder Kofferanhängern, die zwischen den Zellen geschmuggelt wurden, wird die Gegnerschaft zum NS-Regime deutlich und der Wunsch nach Befreiung ihrer Heimat. Sie tauschten Adressen aus, um eventuell Angehörige informieren zu können.

Nach Pforzheim verschleppte ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene leisteten gegen das ihnen aufgezwungene Regime Widerstand in Form von Arbeitsverweigerung bzw. „Arbeitsvertragsbruch“, sogenannte Bummelei, Abwesenheit, Sabotage o.ä.

Biografischer Bezug zum Raum Pforzheim

Genannt sind Menschen, die in der Stadt Pforzheim, in Gemeinden im früheren Amtsbezirk Pforzheim, im früheren Landkreis Pforzheim und im heutigen Enzkreis geboren sind, gelebt oder gewirkt haben bzw. hierher gezwungen wurden. Da es oft Beziehungen von Menschen aus Umlandgemeinden nach Pforzheim gibt, würde eine rein verwaltungspolitische Begrenzung auf die Stadt Pforzheim in den Grenzen von 1933 viele Menschen ausschließen, angefangen bei denen, die in den früher selbstständigen, in den siebziger Jahren eingemeindeten Orten lebten. Auch die Grenzen des heutigen Pforzheim würden Nazi-GegnerInnen ausschließen: Angehörige der Zeugen Jehovas wohnten in Birkenfeld, ihre Versammlungen fanden jedoch in Pforzheim statt; Pfarrer Friedrich Honecker lebte in Schwann, gehörte jedoch in den organisatorischen Zusammenhang der verbotenen Sozialistischen Arbeiter-Partei in Pforzheim; Bernhard Kruse wurde wegen seines antifaschistischen Engagements aus seiner Heimatgemeinde Mühlacker ausgewiesen, er wohnte dann in Pforzheim.
Gleiches gilt für Menschen in bzw. aus früheren württembergischen Gemeinden. Andere Menschen sind zwar in einer benachbarten Gemeinde bzw. einem heutigen Stadtteil geboren und lebten auch dort, sie arbeiteten aber in Pforzheim und waren dort politisch aktiv.
Letztlich haben wir auf eine starre geografische Grenze verzichtet und alle Menschen dokumentiert, die für kurze oder längere Zeit in Pforzheim und dem Enzkreis gelebt und sich den Machtansprüchen der NS-Diktatur widersetzt haben, sei es in diesem geografischen Raum oder ‑ von hier stammend ‑ anderswo.

Zeitliche Eingrenzung

Die Beschränkung auf die 12 Jahre der Nazi-Diktatur ist zwar allgemein üblich, hier jedoch nicht geeignet, die GegnerInnen der Nazis ausreichend zu dokumentieren und zu würdigen: Wir berücksichtigen auch Personen, die schon vor 1933 vor dem Erstarken der NSDAP warnten, an Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Nazis teilnahmen bzw. als Redner auftraten oder in entsprechenden Organisationen wie dem „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, dem „Kampfbund gegen den Faschismus“, den „Religiösen Sozialisten“ o.ä. Gruppen aktiv waren. Etliche der widerständigen Menschen konnten erst Jahre später aus Kriegsgefangenschaft in ihre Heimat zurückkehren, viele der Nazi-Gegner übernahmen Verantwortung beim Neuaufbau eines demokratischen Gemeinwesens, sei es in den Verwaltungen im Wohnungsamt, im Ernährungsamt, als zuerst eingesetzte und dann auch gewählte Bürgermeister oder Stadträte, bei der Gründung von Gewerkschaften, von Baugenossenschaften sowie kulturellen und sportlichen Vereinigungen.
Ein starres Festhalten an dem Zeitraum 30.1.1933 bis 8.5.1945 wird den Menschen nicht gerecht.

Forschungsstand und Quellen

Die Forschungslage zu den widerständig handelnden Personen ist schwierig, da in der veröffentlichten Literatur wesentliche Quellen nicht berücksichtigt bzw. nur sporadisch ausgewertet sind: Bei Jörg Schadt (1976) sind 18 Personen genannt, im „Wegweiser zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung“ (1991) 48, bei den Autoren Dagenbach und Rupp (1995) 53 und bei Hans-Peter Becht (2016) 56 – jedoch: Schon Karl Schroth nannte 1977 über 50 Nazi-GegnerInnen. In einer Artikelserie im Pforzheimer Kurier 1995 sind über 80 widerständige Menschen aufgeführt. Die Datenbank im Internet unter „www.pfenz.de“ in der Kategorie „NS-Gegner“ enthält bereits 2013 über 150 Kurzbiografien, da dort z.T. die Unterlagen der VVN Pforzheim/Enzkreis ausgewertet und auch französische WiderstandskämpferInnen berücksichtigt wurden.

Neu sind die Angaben aus dem Archiv der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg (VVN-BdA); aus den Beständen des Generallandesarchivs Karlsruhe (GLA): Sondergericht Mannheim (Bestand 507), Gefangenenbuch des Gefängnisses Pforzheim (Bestand 509), Akten des Konzentrationslagers Kislau (Bestand 521), Wiedergutmachungsakten (Bestand 480) und Akten der Staatsanwaltschaft Pforzheim (Bestand 309). Hinzu kommen Unterlagen des Frauengefängnisses Gotteszell im Staatsarchiv Ludwigsburg (Bestand E 356 i) sowie Angaben bei Karl Schroth in unveröffentlichten Schriften bzw. bei Gruppen-Fotos.

Forschungsbedarf zur Präzisierung der z.T. stichwortartigen Angaben besteht in der Auswertung der Akten, auf die im Gefangenenbuch Pforzheim verwiesen wird. Bei etlichen der Personen fehlen biografische Angaben, da Akten noch gesperrt bzw. datenschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen sind. Deswegen kann die Datenbank auch nach Abschluss des Projekts als „work in progress“ entsprechend dem Forschungsstand ggf. noch ergänzt bzw. korrigiert werden. Gleiches gilt für den Abgleich der vorhandenen Daten mit denen von Einwohner-Meldeämtern bzw. Recherchen nach Fotos in Pass-Ämtern, wofür die Kooperation mit den entsprechenden Behörden erforderlich ist. Offen ist der Nachvollzug der weiteren Lebenswege der Menschen, die die Nazis aus dem Gefängnis Pforzheim in andere Gefängnisse, Arbeitserziehungslager oder Konzentrationslager „verschubten“. Ebenfalls noch offen ist die Auswertung der Bestände des Internationalen Suchdienstes (ITS) Arolsen.

Die häufige Formulierung am Ende von Biografien „Ihr/Sein weiteres Schicksal ist nicht bekannt“ verweist darauf, dass unter den über 20.000 Toten des 23. Februar 1945 und anderer Luftangriffe eben auch widerständige Menschen waren bzw. gewesen sein konnten; ein Abgleich der Namen steht noch aus.

Bei den Recherchen haben wir immer auch nach den Ehemännern oder Ehefrauen gesucht, nach den Kindern, denn sie waren meist Mitwissende und oft mitbeteiligt. Indirekt kommt dies in einem Bericht von Karl Schroth über wöchentliche Treffen und Gedankenaustausch von Nazi-Gegnern im Rahmen von Gymnastikkursen 1935 zum Ausdruck: Die männlichen Beteiligten sind namentlich aufgeführt, dann heißt es „samt Bräuten und Frauen“.

Noch schwieriger war und ist es, den Menschen nicht nur einen Namen zu geben, um sie vor dem Vergessen zu bewahren, sondern noch mehr ein Gesicht. Zwar haben wir durch Gruppenbilder, Familienfotos, Personalakten und Lichtbilder bei Verfahrensakten fast 180 Portraits ausfindig machen können, doch die Mehrzahl sind erzwungene Fotos: NS-Behörden erstellten sie unter entwürdigenden Bedingungen und gegen den Willen der in Dreier-Streifen Portraitierten, sie sind also Täter-Fotos.

Für den Forschungsstand gilt: Von vielen, vielleicht der Mehrzahl der widerständigen Menschen wissen wir nichts, da sie von den Nazis nicht entdeckt und somit nicht aktenkundig wurden. Viele schwiegen nach 1945 oder wurden nicht gehört, teilweise waren ihre Erinnerungen im Zuge der antikommunistischen Ausrichtung der Politik der BRD auch nicht erwünscht. Der Anti-Nazi-Spion Hans Ferdinand Mayer schwieg selbst im Kreis der Familie bis 1977. Auf seinen Wunsch wurde seine Tätigkeit erst nach seinem und dem Tod seiner Frau 1989 veröffentlicht.

Zur Darstellung der Biografien

Am Ende jeder Biografie finden sich Quellen- und Literaturhinweise, einen Überblick über die verwendete Literatur bietet das Literaturverzeichnis.
Die mit * (Sternchen) versehenen Begriffe bzw. Abkürzungen werden im Glossar kurz erläutert.
Einige Bildlegenden werden erst bei Vergrößerung des jeweiligen Fotos sichtbar (Klick auf das Lupensymbol).
Die Verwendung und Verknüpfung von Suchbegriffen ist z.Zt. nicht möglich. Die Tastenkombination „STRG + F“ ermöglicht es vorerst nur, durch die hinter den Namen aufgeführten Begriffe zusammengehörende Gruppen herauszufiltern.
Oft wird in einer Biografie auf andere Personen verwiesen, um die Zusammenhänge bzw. gemeinsam handelnde Gruppen sichtbar werden zu lassen.
Die Altersangabe der Kinder folgt meist den Angaben in den Wiedergutmachungsakten; dort sind nicht die Geburtsdaten aufgeführt, sondern das Alter der Kinder im Jahr der Antragstellung (meist 1948 oder 1949).
Das Wort „verurteilt“ steht in Anführungszeichen, um deutlich zu machen, dass die Gerichtsverfahren eben Unrechtsverfahren waren und nicht rechtsstaatlichen Normen entsprachen: Richterablehnung, Beweisantragsrecht und Wahl des Verteidigers waren eingeschränkt oder aufgehoben, mündliche Verhandlung über den Haftbefehl, gerichtliche Voruntersuchung, Eröffnungsbeschluss sowie Berufungsinstanzen abgeschafft. Fristen konnten minimiert werden, um „kurzen Prozess“ zu machen.
Bei der Nennung der Haftstrafen folgen wir nicht den üblichen Rechtschreiberegeln, sondern verwenden zur besseren Lesbarkeit Ziffern.

Die Bildrechte wurden sorgfältig recherchiert. Dennoch bestehende etwaige Ansprüche richten Sie bitte an uns.

Brigitte und Gerhard Brändle, im März 2019

 

Literaturangaben

Becht, Hans-Peter: „Führer befiehl…“ Das nationalsozialistische Pforzheim 1933‑1945 (Materialien zur Stadtgeschichte, Bd. 26). Ubstadt-Weiher u.a. 2016.

Borgstedt, Angela; Thelen, Sibylle; Weber, Reinhold (Hrsg.): Mut bewiesen. Widerstandsbiographien aus dem Südwesten (Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs 46). Stuttgart 2017.

Borgstedt, Angela: Mut bewiesen – Widerstand im Südwesten, in: Borgstedt, Thelen, Weber 2017, S.15‑26, Zitate S. 16, 19.

Borgstedt, Angela: Politisch motivierter Widerstand, in: Borgstedt, Thelen, Weber 2017, S. 29-37, Zitat S. 37

Dagenbach Klaus, Rupp; Markus: Die Pforzheimer SAPD im Widerstand. Pforzheim 1995.

Frick, Lothar; Weber, Reinhold: Vorwort, in: Borgstedt, Thelen, Weber 2017, S. 5‑6, Zitat S. 5.

Schadt, Jörg (Bearbeiter): Verfolgung und Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Stuttgart 1976.

Schroth, Karl: Und immer wieder für die Freiheit. Pforzheim 1977.

Steinbach, Peter: „Vermächtnis oder Verfälschung?“ Erfahrungen mit Ausstellungen zum deutschen Widerstand, in: Gerd Ueberschär (Hrsg.): Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstands gegen das NS-Regime. Köln 1993, S. 170-188.

Steinbach, Peter; Tuchel, Johannes; Stiepani, Ute: Zur Konzeption der Dauerausstellung. Online unter: Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Dauerausstellung. https://www.gdw-berlin.de/de/angebote/dauerausstellung/ (08.06.2020).

Studienkreises Deutscher Widerstand (Hrsg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstands und der Verfolgung 1933 – 1945, Bad.-Württ. Bd. I. Frankfurt/M. 1991.