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Rödelsheimer, Max (jüdisch)

Max Rödelsheimer, geboren am 1. November1884 in Baisingen, heute Ortsteil von Rottenburg/Neckar, arbeitet ab der Jahrhundertwende, sicher ab dem Jahre 1901, als Fotograf in Pforzheim, denn das Bild einer Spindelbohrstanzpress-Maschine trägt die Unterschrift „Atelier Rödelsheimer, Pforzheim, 1901“. Er wohnt am Schloßberg Nr. 11, dort, im sogenannten „Kaufhaus Schloßberg“, ist auch sein Atelier, zu Reklamezwecken hat er ein Schaufenster gemietet. Er ist verheiratet, die Tochter Olga emigriert 1933 nach Großbritannien.

Am 1. April1933 führt die NSDAP die erste offen antisemitische Aktion in Deutschland durch, den Boykott von Ladengeschäften, deren Besitzer den jüdischen Gemeinden angehören. In Pforzheim stehen SA-Männer in Uniform z.B. vor dem Kaufhaus Schocken in der Westlichen mit Schildern wie „Dies ist ein jüdisches Geschäft“, „Geschlossen, da abgereist nach Palästina“ oder „Deutsche, kauft nicht bei Juden!“ Nach der Arisierung heißt das Kaufhaus ab 1938 „Merkur“, ab 1977 „Horten“ und heute „Galeria Kaufhof“, David Krämer, ein Überlebender des Holocaust, der damals in der Blumenstraße wohnte, schreibt über diesen Samstag-Vormittag am Schloßberg:

Bei einem jüdischen Photographen… war auch ein junger SA-Mann als Posten abgestellt. Dieser Photograph war […] nicht gewillt, die Dinge tatenlos hinzunehmen. Angetan mit seinen Kriegsorden setzte er sich in das Schaufenster und lockte eine große Menschenmenge an. Im Schutz der Menge fanden nun einige den Mut zu sagen: ‚Da steht so ein Rotzjunge von SA-Mann, der allenfalls die Windeln naßmachen konnte, als dieser Mann im Felde war und sich seine Orden verdiente’… Die Situation verschärfte sich, als hinzukommende SA-Leute drohten, alles kurz und klein zu schlagen, wenn dieser Mann nicht seinen selbstgewählten Sitzplatz verließe. Der bedrohte Photograph verließ zwar den Platz hinter dem Schaufenster, gab sich aber noch nicht geschlagen. Nach einer Weile kehrte er zurück und befestigte an der Innenseite des Fensters eine bunte Postkarte, auf der Kinder verschiedener Menschenrassen abgebildet waren, Reigen tanzend. Darunter stand: ‚Wir sind alle Kinder eines Gottes’. Die Kleinheit der Karte verursachte ein Gedränge zum Fenster; jeder wollte das Bild genau betrachten.Bild und Text wurden von allen spontan verstanden. Der Photograph hatte mit seinem anschaulichen Appell an die Brüderlichkeit einen kleinen Sieg errungen“.

Max Rödelsheimer ist 1935 noch am Schloßberg gemeldet, 1937 heißt der neue Besitzer des Fotoateliers Glaser. 1939/1940 muss Max Rödelsheimer in das gettoisierte Haus in der Erbprinzenstraße 20 umziehen, am 22. Oktober1940 holen Polizei und Gestapo ihn ab zur Deportation ins Internierungslager Gurs in Südfrankreich. Das letzte Lebenszeichen stammt vom 15. Juli 1941 in einem Dankschreiben des Pforzheimers Simon Bloch aus dem Lager Gurs an Hermann Hirschheimer, der 1937 rechtzeitig über Belgien und Argentinien in die USA geflohen war. In diesem Brief ist auch Max Rödelsheimer als Empfänger einer Hilfssendung für die Insassen des Lagers erwähnt. Am 6. August 1942 verschleppen ihn die Nationalsozialisten über Drancy bei Paris ins Vernichtungslager Auschwitz.

In den Akten steht das Kürzel „f.t.e.“, für tot erklärt.

Leonti Givant, Max Rödelsheimers Teilhaber, verlässt Pforzheim 1933. Nach zeitweiliger Haft im Konzentrationslager Dachau emigriert er 1939 in die USA und überlebt so den Holocaust.

Im Rahmen der Aktion "Stolpersteine" wurde für Max Rödelsheimer am 13. März2008 ein Stein vor seiner letzten Wohnadresse am Schloßberg 11 in den Boden eingelassen.


 

Quellen:

Krämer, David, Autobiografie, Frankfurt, ohne Jahresangabe (unveröffentlichtes Manuskript) (Archiv Brändle);

Pforzheimer Anzeiger 1. April 1933;

Pforzheimer Kurier vom 31. März 1993;

Pforzheimer Zeitung 1. April 1993;

GLA KA 480 - 24047