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Reinheimer, Werner (jüdisch, SAP)

Werner Reinheimer ist am 20. Dezember1912 in Pforzheim geboren. Er wächst in einem streng jüdischen Elternhaus auf und er soll - im Gegensatz zu seiner Kraftnatur - nicht Fußball spielen, sondern Sprachen lernen, lesen und zuhause bleiben. Er besucht die Oberrealschule, das heutige Hebel-Gymnasium, in der Rugby-Schulmannschaft ist er Mittelstürmer und im Sport einer der Besten. Sein Sportlehrer ist Prof. Dr. Herbert Kraft, ab 1929 aktiver Nationalsozialist, nach 1933 Ministerialrat im Badischen Unterrichtsministerium. Als ein jüdischer Schüler namens Pollak - siehe dort - im Turnunterricht eine Welle am Reck nicht schafft, kommentiert dieser Lehrer: „Andere aufs Kreuz legen, das kannst du, eine Bauchwelle, das kannst du nicht!“ Diese antisemitische Bemerkung beantwortet Werner Reinheimer: „Kraft, Sie sind ein Schuft!“, worauf dieser ihm mit der Rute ins Gesicht schlägt. Werner Reinheimer setzt sich zur Wehr. Hinzugerufene Lehrkräfte beenden die Schlägerei, Werner Reinheimer darf nicht das Abitur machen, er absolviert eine Lehre bei der Firma L.S.Mayer und wird 1935 Reisender für Schmuckwaren.

Werner Reinheimer ist Mitglied der jüdischen Jugendbewegung „Kameraden“ genauso wie Kurt Baruch, Wilhelm Blum, Hans Pollak und Paul Strimpel - siehe jeweils dort. Bei der Spaltung der jüdischen Jugendbewegung schließt er sich nicht der Gruppe um Martin Buber an, sondern der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ)*, der Jugendorganisation der SPD*, deren antimilitaristische Ausrichtung in dem „Lied der Falken“ zum Ausdruck kommt:

Nie, nie woll’n wir Waffen tragen!

Nie, nie woll’n wir wieder Krieg!

Laßt die reichen Herren sich alleine schlagen,

wir machen einfach nicht mehr mit!“

Ende 1931 treten mehr als zwei Drittel der Pforzheimer SAJ-Mitglieder, mehr als 40 Personen, aus der SPD* aus, weil sie mit dem Kurs der Parteiführung, u.a. der Zustimmung zum Bau von Panzerkreuzern, nicht mehr einverstanden sind. Einige Tage später gehen sie geschlossen zur neugegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP)*. Diese versteht sich als Versuch, eine Einheitsfront gegen die drohende faschistische Gefahr herzustellen, nach Karl Schroth eine „Brücke, um die beiden antifaschistischen Parteien SPD und KPD* durch die dritte Kraft im Kampf gegen Hitler näherzubringen“. Werner Reinheimer spricht bei öffentlichen Versammlungen für die SAP, schreibt für das Kabarett „Die Roten Trommler“ mit Karl Schroth - siehe dort - die Texte und gerät so in die Schusslinie des politischen Gegners. Er bekommt im Sommer 1932 Morddrohungen und nachgedruckte Fahrkarten „Ab nach Jerusalem!“

Ab Februar 1933 wird die SAP in die Illegalität gedrängt, ihre Presse verboten; die Partei geht auf Tauchstation, Decknamen werden benutzt, aus Werner Reinheimer wird "Uli", aus Karl Schroth wird "Herbert". Werner Reinheimer bekommt „Besuch“ von der Gestapo und wird für kurze Zeit festgenommen, da die Nationalsozialisten bei ihm Gelder der illegalen Partei und Druckmaschinen vermutet. Seine geschäftlichen Kontakte und Auslandsreisen nutzt er für Kurierdienste zur SAP-Zentrale in Paris. Im November 1935 verlässt Werner Reinheimer seine Heimat über Frankreich Richtung Brasilien, da seine Existenz als Reisender in Sachen Schmuck zunehmend verunmöglicht wird. So gehört er zu denen, die durch die erzwungene Flucht immerhin ihr Leben retten konnten.

In einem Brief im August 1980 erinnert Werner Reinheimer sich an eine Abschiedsepisode in Pforzheim:

Sogar ein längst vergessener Vers von mir kam plötzlich nochmals hervor aus einer Zeit (1935), als ich Teile der Kessheit der ‚Roten Trommler’ in einen Kabarettabend der jüdischen Gemeinde zu tragen versuchte, um die anwesende Gestapo zu ärgern und den ach so schwankenden Mut etwas zu stärken:

Wir wandern aus nach Birma,

gründen eine neue Firma,

gründen eine neue Bank,

denn das liegt uns, Gott sei Dank…

Das alles ist vorbei, hat vielleicht die Sekunde gedauert, um irgendjemandem bei seinem Entscheid behilflich zu sein und war es wert.“

1980 kommt es in Pforzheim noch einmal zu Zusammentreffen von Kurt Baruch, Kurt Bub, Martha Kadner und Karl Schroth im Kreis der noch lebenden SAP-Mitglieder. 1983 gehört Werner Reinheimer zu der ersten Gruppe jüdischer Bürger, die die Stadt Pforzheim in ihre frühere Heimat einlädt.

Er stirbt am 23.10.1992 in Brasilien.


 

Quellen:

Gurs – Vorhölle von Auschwitz, Antisemitismus in Pforzheim 1920 – 1980, Dokumente, Fotos Berichte, Hrsg. Stadt Pforzheim, Zusammenstellung Gerhard Brändle. Pforzheim 1980, S. 230 f.;

Pforzheimer Kurier 24.12. 1983;

Werner Reinheimer an Kurt Baruch, Brief August 1980 (Archiv Brändle);

Schroth;

GLA KA 480 – 24577