Gleich zwei neue Informations- und Gedenkstelen der Stadt Pforzheim sind seit gestern auf dem Brötzinger Friedhof zu finden. „Gedenken braucht Wissen, aktuelles und kontextualisiertes Wissen. Nur wer die Vergangenheit kennt und selbst in Bezug zu seiner Gegenwart setzen kann, kann aus ihr lernen. Daher sind die neuen Informations- und Gedenkstelen für heutige Besuchende ein wichtiger aktueller Kommentar zu den historischen Grabstätten auf dem Brötzinger Friedhof“, unterstreicht Kulturbürgermeisterin Sibylle Schüssler mit Blick auf die neuen Tafeln deren Bedeutung. Sie sei dankbar für das vielfältige und verdienstvolle Engagement, ohne das die Stelen so nicht zustande gekommen wären.
Die erste Stele informiert die Friedhofsbesucherinnen und -besucher am Gräberfeld 23. Februar 1945 über die 153 dort beigesetzten Opfer des Luftangriffs. Den Anstoß für das Anbringen erläuternder Informationen gab schon vor längerer Zeit der Weststadtbürgerverein 1906 e. V. In der Nähe befindet sich das Grabfeld mit 32 Gräbern von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern sowie Kindern von Zwangsarbeiterinnen. Ein Gedenkstein erinnert bereits seit 1985 an sie. Aus Denkmalschutzgründen verbleibt er an Ort und Stelle. Die zweite heute errichtete Stele aktualisiert den Text des Gedenksteins. In den 1980er-Jahren geriet die Zwangsarbeit in der Pforzheimer Rüstungsindustrie und in anderen Betrieben und Einrichtungen in Pforzheim und Umgebung ins Bewusstsein, weil sich zivilgesellschaftliche und kirchliche Initiativen der Stadtgesellschaft für die Aufarbeitung der Zwangsarbeit in Pforzheim einsetzten. Das Thema war bis dahin kaum erforscht. 70 Personen seien während des Zweiten Weltkriegs in Pforzheim zur Arbeit gezwungen wurden, so steht es auf dem Gedenkstein von 1985 zu lesen. Heute ist durch weitere Forschungen der letzten vier Jahrzehnte bekannt, dass es wesentlich mehr Zwangsarbeitende gab, auch wenn sich noch immer nicht jedes Einzelschicksal klären ließ und weiterhin am Thema geforscht wird. Die neue Stele spricht für den Raum Pforzheim von etwa 5.000 Menschen aus Polen und der ehemaligen Sowjetunion und würdigt nun die Tatsache, dass die Dimensionen dieses Verbrechens erheblich größer und die Opferzahlen wesentlich höher waren als in den 1980er-Jahren bekannt. Bei der Gedenkveranstaltung der Stadt Pforzheim zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Jahre 2021 rief Katharina Leicht, Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft Pforzheim und Enzkreis e. V., dazu auf, die Angaben auf der Tafel dem aktuellen Forschungsstand entsprechend zu erneuern.
Auch Mitinitiatoren des Gedenksteins von 1985, das Ehepaar Brigitte und Gerhard Brändle von der Friedens-Initiative Pforzheim sowie der frühere Stadtrat und langjährige DGB-Kreisvorsitzende Jürgen Schroth, haben sich für die Korrektur der Tafel stark gemacht. Alle drei haben nicht nur zum Thema geforscht, sondern sich in den 2000er-Jahren auch für die Entschädigung von Zwangsarbeitenden eingesetzt. Sie werden ihre neuesten Forschungen bald vorstellen. Neben der Korrektur der Anzahl der Zwangsarbeitenden und weiteren kleineren Aktualisierungen des Textes ist auf der Stele zudem ein QR-Code angebracht, der zu einer Website auf der stadtgeschichtlichen Online-Präsenz der Stadt Pforzheim führt. Dort werden künftig weitere Informationen zur Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg in Pforzheim zu finden sein. Die Website befindet sich derzeit noch im Aufbau.