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Vor 75 Jahren endet der Zweite Weltkrieg

Das Kriegsende in Pforzheim im Spiegel von Archivquellen

Zeichnung von Wilhelm Reble
Friede auf Erden, zum 8. Mai 1945, Zeichnung des Pforzheimer Künstlers Wilhelm Reble (Kunstsammlung Stadt Pforzheim)

Der 8. Mai 1945: Tag der Niederlage – und Tag der Befreiung

Am 8. Mai 1945 trat die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs in Kraft. Sie beendete den Zweiten Weltkrieg, zumindest in Europa, der von deutschem Boden ausgehend Leid und Tod über Millionen und Abermillionen von Soldaten und Zivilisten gebracht hatte. Die Niederlage des Deutschen Reichs beendete zugleich die NS-Diktatur mit ihrem Terror und dem größten Menschheitsverbrechen überhaupt, dem Holocaust, der Ermordung von mehr als sechs Millionen europäischen Juden. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“, so der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner wegweisenden Rede, die er vor 35 Jahren vor dem Deutschen Bundestag hielt.

Pforzheim erlebt das Kriegsende

In Pforzheim, das seit dem verheerenden Luftangriff vom 23. Februar 1945 fast vollständig in Trümmern lag, hatten die Kampfhandlungen schon im April geendet. Trotz der aussichtslosen Lage wurde die Stadt den vorrückenden Franzosen jedoch nicht kampflos übergeben. Pforzheim war vielmehr zum ‚festen Platz‘ erklärt worden und sollte solange wie möglich gehalten werden. Zu diesem Zweck ließ Kreisleiter Hans Knab etliche noch intakte Brücken sprengen, ehe er sich selbst absetzte. Ab dem 8. April hatte die französische Armee den Nordteil der Stadt besetzt, doch erst am 18. April gelang es ihr, die gesamte Stadt einzunehmen. In der Zwischenzeit wurde um die Pforzheimer Ruinen erbittert gekämpft.

Den 8. Mai erlebte Pforzheim demnach unter französischer Besatzung. Bereits am 12. April, also vor der vollständigen Einnahme der Stadt, war der Pforzheimer Schmuckfabrikant Wilhelm Becker zum Bürgermeister ernannt worden und erhielt den Auftrag, eine Stadtverwaltung aufzubauen. Er hatte jedoch kaum Verwaltungsmitarbeiter zur Verfügung und durch den Verlust der meisten Unterlagen am 23. Februar auch kaum Akten und Verzeichnisse, auf die er sich stützen konnte. Die maßgeblichen Entscheidungen wurden ohnehin von der französischen Militärregierung getroffen. Der erste Friedensfrühling in Pforzheim war keine einfache Zeit für die Einwohner der Stadt. Viele waren im Februar obdachlos geworden und notdürftig in Gartenhäusern oder in den Randbezirken untergebracht. Die französischen Soldaten beschlagnahmten Nahrungsmittel für ihren Eigenbedarf, auch kam es zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung wie Vergewaltigungen und Plünderungen. Viele Familien hatten den Verlust von Angehörigen zu beklagen oder bangten um Vermisste. Wer linientreu für „Führer, Volk und Vaterland“ gekämpft hatte, stand nun vielmals vor den Trümmern seiner Überzeugung, vor allem als immer mehr Gräueltaten und Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt wurden. Und wer aus religiösen, rassischen oder politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden war, dessen Existenz lag in Trümmern, wenn er überhaupt den 8. Mai 1945 erlebte. Eine Perspektive für die Zukunft, auf Wiederaufbau oder einen Neuanfang gab es noch kaum. Allerdings verbesserten sich im Laufe des Mai die Versorgungslage und die allgemeine Sicherheit allmählich. Doch die Zeit der französischen Besatzung endete für Pforzheim bereits wieder, ehe der demokratische Wiederaufbau und die Trümmerräumung in größerem Stil beginnen konnten: Am 8. Juli wurde die Stadt der Amerikanischen Besatzungszone eingegliedert. 

Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Spiegel der Archivquellen

Kriegsende und die frühe Nachkriegszeit spiegeln sich in der Überlieferung des Stadtarchivs in vielfältiger Weise, auch wenn manchmal erstaunt, dass überhaupt Dokumente die Wirren der Zeit überdauerten. Wertvolle Informationen zur Situation in Pforzheim im Mai 1945 enthalten die amtlichen Unterlagen, aus denen die Tätigkeit der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Becker sowie die Maßnahmen der französischen Militärregierung hervorgehen. Doch die amtlichen Quellen vermögen kein vollständiges Bild zu vermitteln. Wie erlebten die Pforzheimerinnen und Pforzheimer das Ende des Zweiten Weltkriegs? Wie versuchten Sie das Gesehene und Geschehene zu verarbeiten? Hier gibt nichtamtliches Schriftgut in Nachlässen, Tagebüchern, Briefen, Fotografien etc. Auskunft.

Nachlass Wilhelm Reble

So zum Beispiel der Nachlass Wilhelm Reble, Bestand N197 des Stadtarchivs. In diesem Nachlass sind unter anderem Rebles Feldpostbriefe und Zeichnungen aus dem Zweiten Weltkrieg sowie aus der Nachkriegszeit, die zum Teil in der Kunstsammlung der Stadt Pforzheim verwahrt werden, enthalten. Wilhelm Reble, geboren am 28. Januar 1905, war Schmuckdesigner und Grafiker. Er wohnte mit seinen Eltern und Geschwistern in der Südstadt an der Waldstraße (heute Irmengard-Straße) 5. Nach dem Besuch der hiesigen Kunstgewerbeschule (von 1922 bis 1927) besuchte er später in Paris die Académie de la Grande Chaumiѐre und unternahm Kunstreisen durch Frankreich und Italien. Nach seiner Rückkehr nach Pforzheim im Jahr 1934 war er als Schmuckdesigner bei einer Gold- und Silberwarenfirma tätig, gewann aber in der Folge in den 1930er Jahren als Künstler einige Preise für seine Arbeiten. Im Jahr 1940 folgte der Einberufungsbefehl. In Ruhepausen in der Kriegszeit zeichnete er mit seiner ihm eigenen zeichnerischen Aufmerksamkeit auf Detail kleine Bleistiftzeichnungen, die das Leben der Soldaten so klar wie eine Fotografie darstellen. Er erlebte die schwierige und gewalttätige Kriegszeit weit weg von Pforzheim, das Geschehen in Pforzheim und viele Alltagsereignisse waren ihm aber durch den Briefwechsel mit dem Vater bekannt.

Nach dem Kriegsende arbeitete er seine eigenen Kriegserlebnisse künstlerisch durch die Zeichnungen zweier Zyklen „Deutsche Passion“ und „Die Zeit ohne Beispiel“, auf. Die ausdruckstarken Zeichnungen veranschaulichen den Schrecken des Krieges, die Verzweiflung, den Hunger, Elend, Flucht, Zerstörung und dann die Heimkehr. Ohne Worte erkennt man seine tiefe Betroffenheit, den Einfluss des Geschehens nicht nur auf den Künstler, sondern auf alle Beteiligte dieser Zeit. Die Zeichnungen berühren jeden Betrachter und tragen zum vollständigen Bild der Zeit bei. Aus dem Zyklus „Deutsche Passion“ stammt auch die Zeichnung mit dem Titel „Friede auf Erden zum 8. Mai 1945“. Wilhelm Rebles Botschaft lautete bezüglich der „Deutschen Passion“: „Möge sie ein Aufruf sein zur Besinnung und eine Mahnung an eine dunkle Vergangenheit“. Er trat mit seinen Zeichnungen für Frieden und Versöhnung ein.

75 Jahre Frieden  

Heute blicken wir auf 75 Jahre Frieden zurück. Aus ehemaligen Feinden wurden Freunde, aus Siegern und Besiegten Partner. Die deutsch-französische Freundschaft bildete den Kern der europäischen Einigung, wie wir sie heute kennen. Am 8. Mai 1945 war all dies noch kaum vorstellbar - und doch gab es Hoffnung, wie die Zeichnung von Wilhelm Reble beweist: In einer gemeinsamen Anstrengung wird das Friedensbanner errichtet, einer strahlenden Zukunft entgegenblickend. Dies besiegt wie von selbst den großen, kräftigen und bewaffneten Kriegsgott, für den kein Platz mehr ist auf der Welt.  Wer mehr darüber herausfinden möchte, wie die Menschen in dieser Umbruchsphase 1945 dachten und handelten, für den stehen die Bestände des Stadtarchivs offen. Bis zur Wiedereröffnung des Lesesaals empfehlen wir die Online-Recherche auf Findbuch.Net sowie im OPAC-Katalog der Archivbibliothek und die Pforzheim-Bibliographie. Mehr zu Wilhelm Reble findet sich im Archivmagazin 2020/1.