Zum Inhalt springen
  • Bewölkt: 85-100% 5 °C
  • Kontrast
  • Leichte Sprache

Rede europäisches Kinderfest 11. Mai 2019 von Oberbürgermeister Peter Boch

! Es gilt das gesprochene Wort !


Liebe Kinder,
liebe Familien,
verehrte Gäste aus dem Enzkreis und aus anderen Orten,
liebe Pforzheimerinnen und Pforzheimer,

ich heiße Euch und Sie heute alle ganz herzlich willkommen beim Europäischen Kinderfest auf unserem Marktplatz. Es ist toll, dass heute hier – mitten in der Stadt – Kinder aus vielen Nationen, aus Deutschland, aus Italien, aus der Türkei, aus Rumänien, aus Russland, aus Syrien und noch vielen anderen Ländern zusammen spielen und feiern. Und wir können froh und stolz sein, dass unser Pforzheim eine so europäische, ja internationale Stadt ist.

Dass wir heute hier zusammen sind, verdanken wir in erster Linie der Pforzheimer Volksmission, die diese wunderbare Veranstaltung dieses Jahr bereits zum zehnten Mal federführend gestaltet.

Vor zehn Jahren stand der Gedanke im Vordergrund die Jüngsten der Gesellschaft – die Kinder-, aber auch ihre Familien in den Mittelpunkt zu stellen und hier im Zentrum der Stadt ein großes Kinderfest zu feiern. Dass dies eine großartige Idee war, zeigt der Erfolg. Denn das Format hat sich über zehn Jahre gehalten und ist trotzdem jung geblieben. Wir haben dies zahlreichen engagierten Menschen zu verdanken. Herzlichen Dank an alle Haupt- und Ehrenamtlichen der Volksmission, des Missionswerk Strahlen der Freude, der Ecclesia Kirche Pforzheim, der EFG Pforzheim und der Christusgemeinde Pforzheim. Sie sorgen mit diesem Fest für strahlende Kinderaugen – und wir freuen uns auf zahlreiche weitere Feste.

Es ist ein besonderes Jubiläum, weil wir heute gemeinsam ein EUROPÄISCHES Kinderfest feiern.

Damit wollen wir ein Zeichen setzen für ein offenes und tolerantes Europa. Denn auch wenn wir zum Teil an unterschiedlichen Orten geboren wurden, so leben wir alle in Pforzheim. Und es ist mein oberstes Anliegen, unsere Stadt weiterhin liebens- und lebenswert zu gestalten für alle, die hier ihre Heimat gefunden haben.

Es gibt Menschen, die unsere Werte und die Ideale, für die dieses Fest heute steht, nicht teilen. Ihnen erscheint das Miteinander der Kulturen als Bedrohung und nicht als Bereicherung. Ich persönlich sehe das anders und ich denke, so gut wie alle hier auf dem Marktplatz auch.

Meine Damen und Herren, Ende des Monats finden die Kommunal- und Europawahlen statt. Als Oberbürgermeister bin ich von Gesetzes wegen zur Neutralität verpflichtet, deshalb werde ich an dieser Stelle nicht näher auf die Organisatoren der heutigen Demonstrationen eingehen.

Aber lassen Sie mich ganz allgemein ein paar Dinge klarstellen:

Wer statt Toleranz Hass predigt, wer statt auf Dialog auf Konfrontation setzt, wer mit dumpfen Parolen versucht unsere Gesellschaft zu spalten, wer glaubt, die Herausforderungen der Gegenwart durch einen Rückfall in Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus meistern zu können, wer Ängste und Vorurteile schürt, wer andere aufgrund ihres Aussehens, ihres Glaubens oder ihrer Herkunft ausgrenzt und bedroht, der hat Pforzheim nicht verstanden, der kennt unsere Stadt nicht und ist mit seinem Herzen nicht bei uns.

Meine Damen und Herren, ich habe es am 23. Februar an dieser Stelle gesagt und ich sage es heute wieder. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie und es ist die Aufgabe des Staates dieses Grundrecht zu schützen. Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit den Polizeibeamtinnen und -beamten ganz herzlich danken, die heute in Pforzheim im Dienst sind, um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.

Gleichzeitig appelliere ich an alle Menschen, die jetzt auf der Straße sind: Helfen Sie mit, dass der heutige Tag friedlich verläuft. Machen Sie Gebrauch von Ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung, aber tun Sie das bitte gewaltlos und besonnen.

So wie wir hier auf dem Marktplatz. Wir – die Volksmission und ihre Partner, die Stadt Pforzheim und all die anderen Akteure der heutigen Veranstaltung – wollen gemeinsam bekennen, dass wir unser Pforzheim so schätzen und lieben, wie es ist und wir froh und stolz sind, dass Menschen aus über 140 Nationen unser Zusammenleben hier bereichern.

Und so wurde aus dem Kinderfest ein EUROPÄISCHES Kinderfest, das wir im Rahmen der Europawoche heute gemeinsam feiern. Denn Pforzheim ist eine europäische, eine internationale, eine weltoffene Stadt.

Das zeigt auch unsere Geschichte. Schon immer war unsere Stadt geprägt von anderen Kulturen, von der Zuwanderung von Menschen und den Ideen, die sie mitbrachten. Ob Kelten, Römer, Alemannen in grauer Vorzeit, ob Zuwanderer aus anderen Teilen Deutschlands, die im 19. Jahrhundert in die aufstrebende Industriestadt zogen, weil es hier Arbeit gab, ob Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg, ob dringend benötigte Arbeiter aus dem Süden, ohne die das Wirtschaftswunder in Pforzheim nicht hätte geschehen können, ob Spätaussiedler aus dem ehemaligen Ostblock, ob Geflüchtete vom Balkan oder wie in den letzten Jahren vor allem aus Syrien und Afrika, ob Katholiken, Hugenotten, Muslime, Juden oder Menschen anderen Glaubens, sie alle kamen und kommen in diese Stadt, um hier zu leben, zu arbeiten und ihr Glück zu finden. So war es in den letzten 2000 Jahren, so ist es heute und so soll es bleiben.

Und Pforzheim wäre auch nicht die Goldstadt geworden, wenn nicht Menschen aus anderen Ländern mit ihrem Wissen zu uns gekommen wären, um dazu beizutragen, den Namen Pforzheim in der ganzen Welt bekannt zu machen. Davon zeugen heute noch Begriffe wie Etui, Kabinett, Poliseuse, Trottwar und noch viele andere, die sich im Pforzheimerisch finden.

Aber Menschen kamen nicht nur aus aller Welt zu uns, nein, Pforzheimerinnen und Pforzheimer waren auch schon immer viel unterwegs. Waren es zunächst die Flößer, die ihr Holz über Enz, Neckar und Rhein transportierten, waren es später die Vertreter von Schmuck und Uhren, die ihre Waren „made in Pforzheim“ in der ganzen Welt verkauften.

Für Pforzheim waren Grenzen noch nie gut. Wir können froh sein, dass es zwischen Birkenfeld und Pforzheim keinen Schlagbaum mehr gibt, ebenso wenig wie zwischen Kehl und Straßburg.

Denn unsere Stadt hat in ihrer Geschichte zu oft bitter erfahren müssen, wie es ist, wenn der Nachbar kein Freund, sondern der Feind ist. Wann immer Nationalismus, religiöser Fanatismus und Hass die Oberhand gewannen, wann immer man statt Gesprächen Krieg führte, musste Pforzheim darunter leiden. Mehrfach geplündert und niedergebrannt wurde unsere Stadt in den vergangenen Jahrhunderten und schließlich, am 23. Februar 1945, im Bombenhagel fast völlig dem Erdboden gleichgemacht. Wenn eine Stadt weiß, was für ein großes Glück es ist, in Frieden leben zu dürfen, dann Pforzheim.

Und deshalb ist es auch so wichtig, dass es hier und anderen Orts Menschen gab, die erkannt haben, dass wir nur gemeinsam eine Zukunft haben. Und die sich nur kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stark gemacht haben für Versöhnung und ein friedliches Zusammenleben hier und in ganz Europa. Die Beziehungen zu unseren Partnerstädten sind ein Beispiel hierfür. Wenn sich Jugendliche aus Pforzheim, Osijek, St. Maur oder Gernika begegnen, entstehen lebenslange Freundschaften.

Für alle, die schon länger in Pforzheim leben, ist es unvorstellbar, dass jemals wieder ein Krieg diese Stadt heimsuchen wird, aber für viele Menschen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, ist Krieg eben nicht etwas aus den Geschichtsbüchern oder der Tagesschau, denn sie haben ihn erlebt. Wir sollten daher nicht vergessen, dass die europäische Einigung uns Frieden gebracht hat, denn er ist leider nicht selbstverständlich auf dieser Welt.

Mit unseren Freunden und Partnern in ganz Europa erinnern wir uns an die visionäre, ja fast verrückte Idee von Robert Schuman. Der damalige französische Außenminister schlug 1950 vor, so kriegswichtige Güter wie Kohle und Stahl unter die gemeinsame Aufsicht von ehemaligen Kriegsgegnern zu stellen. Es musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden bis ins 21. Jahrhundert, in dem für uns die Europäische Union eine Normalität ist.

Grenzenloses Reisen und Arbeiten, einheitliche Standards für Lebensmittelsicherheit, günstiges Telefonieren aus dem Ausland oder der Einsatz für den Klimaschutz: all das verdanken wir der Europäischen Union.

In der Diskussion über manche Regelungen, die uns nicht gefallen, verlieren wir jedoch manchmal aus dem Blick, was wir an der EU wirklich haben. Und natürlich ist nicht immer alles Gold, was in Brüssel und Straßburg beschlossen wird, aber das gilt doch genauso für Berlin, Stuttgart und sogar das Pforzheimer Rathaus. Das ist nun mal so in der Demokratie. Und wenn ich etwas ändern möchte, dann gibt es dafür Wahlen, so wie am 26. Mai. Dann haben Sie die Möglichkeit Ihre Meinung durch Ihre Stimme kundzutun. Ich kann Sie nur ermutigen das auch zu tun.

Die EU ist in erste Linie eine Werteunion, die für Frieden, Stabilität und Wohlstand steht. In unserer europäischen Grundrechtecharta sind diese Werte festgeschrieben:

  • Die Wahrung der Menschenwürde
  • Nichtdiskriminierung und die Gleichheit von Mann und Frau
  • Rechtsstaatlichkeit
  • Demokratie
  • Freiheit
  • Solidarität.

Doch erst wenn wir sie im Alltag mit Leben füllen – oder spüren, wo wir an einer besseren Verwirklichung noch arbeiten müssen, erkennen wir die Bedeutung dieser Werte:

  • Wenn ich ungeachtet meiner Herkunft gleiche Chancen auf einen Job habe.
  • Wenn Kinder ungeachtet ihres familiären Hintergrunds und ihres Geschlechts das gleiche Recht auf Bildung erleben.
  • Wenn Männer und Frauen für ihre Arbeit den gleichen Lohn erhalten.
  • Wenn ich ohne Angst meine Meinung äußern kann.

Noch ist Europa nicht perfekt und wird es wahrscheinlich auch nie werden, aber wir alle können gemeinsam daran arbeiten, dass es immer besser wird.

Manche tun sich auch mit diesen Werten schwer: wenn Mädchen eben nicht die gleichen Bildungschancen erhalten oder wir im Alltag erleben, dass Menschen mit Behinderungen beschimpft und ausgegrenzt werden. Oder… Ich denke, Beispiele kennt jeder. Hier sind wir gefordert Grenzen zu setzen und für unsere gemeinsamen Werte einzutreten – auch wenn das manchmal schwierig ist.

Und so danke ich Allen, die heute hier sind. Lasst uns gemeinsam feiern – unabhängig von Alter, Herkunft, Glauben oder Geschlecht.

Ich danke der Volksmission und ihren Partnern für ihre Kooperationsbereitschaft und dafür, dass wir uns heute gemeinsam einsetzen für ein buntes und vielfältiges Pforzheim.

Ich danke allen, die sich beteiligt haben mit Tanzaufführungen, Spielen und Informationen aus anderen Ländern und allen, die heute hier in Pforzheim und anderswo gemeinsam für unsere Werte eintreten. Lassen Sie uns ein Zeichen setzen für ein offenes und tolerantes Europa.