Seit über 2500 Jahren haben sich in Europa und in anderen Teilen der Welt erste Formen der Demokratie entwickelt. In jedem Land sind dabei die historischen, sozialen und kulturellen Ausprägungen genauso unterschiedlich wie die jeweiligen Voraussetzungen und Bedingungen. Gemeinsam ist ihnen, dass die Demokratie auf einer ständigen Aushandlung um das Gleichgewicht zwischen Individuum und Gemeinschaft, Freiheit und Ordnung, Gleichheit und Führung basiert. Im aktuellen Diskurs macht sich jedoch das Gefühl breit, dass sich Mächte verschieben und die Verfassungsform der Demokratie durch den Strukturwandel moderner Gesellschaften, komplexe globale Problemstellungen, Digitalisierung, Populismus, Fake News sowie die Infragestellung von Wissen und universellen Werten zunehmend bedroht und instabil zu sein scheint.
In der Ausstellung „Dämonkratie“ vom 11. Oktober bis 24. November 2019 im A.K.T; und im EMMA – Kreativzentrum Pforzheim begeben sich internationale Künstlerinnen und Künstler wie u.a. Jonas Burgert, Iñigo Manglano-Ovalle, Milo Rau, Oliver Ressler, Wolfgang Tillmans oder Peter Weibel, auf die Suche nach den Dämonen der Demokratie: Sind es die politischen Vertreter, Wirtschaftskonzerne oder einfach das Volk selbst?
„Der Begriff Demokratie scheint im aktuellen Diskurs zu einer bloßen Floskel verkommen zu sein, was vergessen lässt, dass die Demokratie ein sehr fragiles Konstrukt ist, das einer ständigen Aushandlung zwischen den verschiedensten Interessen unterliegt“, sagt Janusz Czech, künstlerischer Leiter der Ausstellung und des A.K.T;. „In der Ausstellung möchten wir dem auf dem Grund gehen und zeigen, dass die Umsetzung demokratischer Prinzipien ein mühsamer aber notwendiger Prozess ist“. Die künstlerischen Beiträge beschäftigen sich daher auf vielfältige Weise mit gesellschaftlichen, politischen und religiösen Strukturen und Entwicklungen, die auf die Demokratie einwirken, stellen aber auch die demokratischen Strukturen an sich in Frage.
Beate Engl hinterfragt beispielsweise mit ihrer „Fanfare“ die Säkularität eines Staates, indem sie in der Audio-Skulptur Ausschnitte aus Reden amerikanischer Präsidenten ausstrahlt, die vom Verweis auf die präsidiale Handlung im göttlichen Auftrag übers gemeinsame Gebet bis zum Segnen der Nation einen klaren religiösen Bezug aufweisen.
Mit der Macht von sogenannten „Fake News“ beschäftigt sich der spanischstämmige Künstler Iñigo Manglano-Ovalle. Sein Werk „Phantom Truck“, das 2007 bereits auf der Documenta in Kassel zu sehen war, nimmt Bezug auf die Berichterstattung von Colin Powell im UN-Sicherheitsrat über bewegliche Biowaffenlabors im Irak. Dies stellte sich später als bewusste Falschmeldung heraus, die einen Präventivschlag im Irak rechtfertigen sollte.
Wirtschaftliche Interessen als Motivation für politische Handlungen spielen in Milo Raus Werk „Das Kongo Tribunal“ eine zentrale Rolle. In der Demokratischen Republik Kongo hat der Reichtum an Bodenschätzen seit Mitte der 1990er-Jahre zu den blutigsten Konflikten seit dem Zweiten Weltkrieg geführt. Zahlreiche afrikanische Staaten, westliche Verbündete und internationale Rohstoffkonzerne sind in die grausamen Kriege im Kongo verwickelt. Milo Rau versammelte 2015 im „Kongo Tribunal“ Opfer, Täter, Zeugen und Analysten des Kongokrieges in einem großen zivilen Volkstribunal im ostkongolesischen Bukavu und in Berlin. In diesem fiktiven Untersuchungsprozess wollte er den Ursachen der Konflikte im Kongo auf den Grund gehen.
Der französisch-venezolanische Fotograf Mathieu Asselin hinterfragt in seinem vielfach prämierten Projekt „Monsanto: Eine fotografische Untersuchung“ den Lobbyismus und den gesellschaftlichen Nutzen der Agrargentechnologie. Für dieses Projekt hat Mathieu Asselin Hunderte von Dokumenten rund um den amerikanischen Konzern Monsanto ausfindig gemacht und ausgewertet. Das Unternehmen, das 2018 durch die deutsche Bayer AG übernommen wurde, produziert Saatgut und Herbizide und setzt seit den 1990er-Jahren Biotechnologien zur Erzeugung gentechnisch veränderter Feldfrüchte ein. Aus der öffentlichen Diskussion bekannte Produkte sind transgene Maissorten sowie Breitbandherbizide mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat.
Inwieweit die individuelle Freiheit auf Kosten der staatlichen Sicherheit eingeschränkt werden darf, thematisiert das Lied „Wir sind Daten“ von Peter Weibel & Hotel Morphila Orchester, das eine Hommage an die Whistleblower Bradley Manning und Edward Snowden darstellt und sich kritisch mit der staatlichen Datenspeicherung auseinandersetzt.
Ergänzt werden die künstlerischen Beiträge von Filmen wie „Pre-Crime“ von Monika Hielscher und Matthias Heeder. Sie stellen einige der brennendsten Fragen unserer Zeit: Wie viel Freiheit sind wir bereit aufzugeben für das Versprechen absoluter Sicherheit?
Eröffnet wird die Ausstellung am 10. Oktober 2019 um 19 Uhr im EMMA – Kreativzentrum Pforzheim. In einer Gesprächsrunde diskutiert Marie-Dominique Wetzel, Kulturredakteurin beim SWR2, mit Tanja Boukal, Künstlerin der Ausstellung, Janusz Czech, künstlerischer Leiter der Ausstellung und Marie Rosenkranz, European Democracy Lab, über die Macht der Kunst.
Zeitleich mit der Vernissage der Ausstellung „Dämonkratie“ wird auch das Labor des Master-Studiengangs Design & Future Making der Hochschule Pforzheim im 4.OG des A.K.T; eröffnet. Das „MADLAB“ bietet eine Plattform für die Wechselwirkung zwischen intuitivem Herstellen und reflexivem Handeln. Es ermöglicht interdisziplinären Austausch und setzt damit Innovationsimpulse. So werden Positionen im Schnittpunkt kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz und Verantwortung erarbeitet.
Zur Eröffnung präsentieren die Studierenden im MADLAB die Ergebnisse eines einwöchigen Workshops zur experimentellen Forschung: Welchen Effekt hat Wachstum auf Strukturen? Wie hoch ist der Wert vom gesprochenen Wort? Führt ein Mehr an Dingen zum Verfall? „Die Studierenden haben sich im Machen anhand von Form und Material gesellschaftlichen Fragestellungen angenähert“, so Studiengangleiterin Professorin Christine Lüdeke.
Die Ausstellung Dämonkratie bildet den Auftakt für den A.K.T; ein Ausstellungs- und Kommunikationsort für Kunst und Design mit einem Fokus au f gesellschaftliche Themen und Zukunftsfragen. „Kunst und Design reflektieren einerseits die Gesellschaft und wirken andererseits auf sie ein, das wollen wir im A.K.T; deutlich machen“, erläutert Almut Benkert, Fachbereichsleiterin Kreativwirtschaft beim Eigenbetrieb Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim und Leiterin des EMMA. Neben den Ausstellungsflächen sind das Café Roland sowie das MADLAB des Master-Studiengangs Design & Future Making der Hochschule Pforzheim Teil des A.K.T;
Der A.K.T; wird von der Werner Wild Stiftung und dem Förderverein Ornamenta gefördert.
Zur Ausstellung erschien die Ausgabe „Demokratie und Wirtschaft“ des Medienpartners agora42.
Daten zur Ausstellung:
Datum: 11. Oktober bis 24. November 2019
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 19 Uhr
Vernissage: Donnerstag, 10. Oktober 2019, 19 Uhr. Gesprächsrunde „Die Macht der Kunst?“, Marie-Dominique Wetzel, SWR2 im Gespräch mit Tanja Boukal, Künstlerin der Ausstellung, Janusz Czech, künstlerischer Leiter der Ausstellung und Marie Rosenkranz, European Democracy Lab
Orte: A.K.T;, Theaterstraße 21, 75175 Pforzheim, EMMA – Kreativzentrum Pforzheim, Emma-Jaeger Straße 20, 75175 Pforzheim
Künstlerische Leitung: Janusz Czech
Künstlerinnen und Künstler:
Mathieu Asselin (Arles/New York), Norbert Bisky (Berlin), Tanja Boukal (Wien), Jonas Burgert (Berlin), Janusz Czech (Pforzheim/München), Matthias Deumlich (Berlin), Wiktor Dyndo (Warschau), Beate Engl (München/Prackenbach), Philip Götze (Mauritius), Heather Dewey-Hagborg/Chelsea Manning (New York), Jakub Janovský (Prag), Franka Kaßner (München/Leipzig), Jon Kessler (New York), Iñigo Manglano-Ovalle (Chicago), Sholeh Mohammadi (Teheran) & Lisa Schlenker (Karlsruhe), Milo Rau (Deutschland/Schweiz/Frankreich), Oliver Ressler (Wien), Klaus Staeck (Heidelberg), Wolfgang Tillmans (Berlin/London), The Yes Men, Peter Weibel (Karlsruhe/Wien), Peter Weibel & Hotel Morphila Orchester, Umut Yasat (Karlsruhe)
Filmbeiträge in der Ausstellung:
„Pre-Crime“ von Monika Hielscher und Matthias Heeder, "The Other Chelsea - A story from Donetsk" von Jakob Preuss, „Die Story im Ersten. Die unheimliche Macht der Berater“ von Michael Wech, Georg Wellmann, Massimo Bognanni, Petra Nagel, Petra Blum, Lena Kampf und Katja Riedel, "Never Again - Amerikas Jugend gegen den Waffenwahn“ von Sebastian Bellwinkel, „Die Erdzerstörer“ von Jean-Robert Viallet
Programm:
Führungen:
So, 13. Oktober / 20. Oktober/ 3. November / 24. November 2019/ jeweils 11 Uhr
Treffpunkt: Café Roland im A.K.T; (EG). Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Donnerstag, 31. Oktober 2019, 19 Uhr
Discours de la Méthode: „How to design Markets“, ein Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik und der Wirtschaft mit dem MADFM
Samstag, 23. November 2019, 17 Uhr
Filmvorführung: „What is democracy?“ (Was ist Demokratie?) von Oliver Ressler
Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Werner Wild Stiftung, dem Ornamenta Verein, agora42, dem EMMA – Kreativzentrum Pforzheim und der Hochschule Pforzheim statt.
Der A.K.T; ist ein Ort für gesellschaftliche Diskurse und ein interdisziplinäres Labor der Zukunft. Aktuelle Fragestellungen werden im A.K.T; aus dem Blickwinkel des Designs und der Kunst beleuchtet und die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und Design sichtbar gemacht. Der A.K.T; im Treppenhausturm der ehemaligen Alfons-Kern-Schule in Pforzheim bietet dafür Raum auf mehreren Ebenen: Auf zwei Stockwerken finden regelmäßig Ausstellungen statt. Im obersten Geschoss erforschen Studierende des Masterstudiengangs Design & Future Making der Hochschule Pforzheim im MADLAB Zukunftsfragen.
Das EMMA – Kreativzentrum Pforzheim ist seit 2014 die zentrale Plattform für Pforzheims Kreativschaffende. In einem ehemaligen Jugendstilbad an der Enz gelegen, bietet das Kreativzentrum auf 3000m² Werkstatt- und Coworking-Arbeitsplätze, Ateliers, Büros und Ausstellungsflächen. Im Dreieck mit der Hochschule Pforzheim und dem A.K.T; setzt sich das EMMA für die Quartiersentwicklung ein und ist ein Ort des Austauschs und der Diskussion.
Janusz Czech lebt und arbeitet in München und Pforzheim und nahm an zahlreichen internationalen Kulturaustauschprogrammen teil, z.B. dem „Artist in Residence“ Programm in Irkutsk und am Baikalsee, Sibirien, Russland. Zuletzt wurde er von „inter!m e.V. Kulturhandlungen“ eingeladen, ein künstlerisches Projekt über die Textilindustrie und Identität der schwäbischen Alb und Indien umzusetzen, dessen Ergebnisse in der Ausstellung „Die Sprachen des Textilen“ im Oktober 2017 im Museum Villa Rot zu sehen waren. Darüber hinaus ist er Redaktionsmitglied des philosophischen Wirtschaftsmagazin agora42 aus Stuttgart, das mit einer Auflage von 10.000 Stück im deutschsprachigen Raum vertrieben wird.
agora42 beschäftigt sich mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, erläutert Grundbegriffe der Ökonomie und Philosophie und zeigt neue Perspektiven auf.
Pressekontakt:
Alexandra Vogt
Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim
Emma-Jaeger-Straße 20
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