Saint-Maur im Ausnahmezustand
Seit den schrecklichen Ereignissen in Frankreich am 13. November wurde vom französischen Staatspräsidenten der Ausnahmezustand über ganz Frankreich verhängt und damit auch über unserer französischen Partnerstadt Saint-Maur. Bei beiden Attentatsserien sowohl im Januar als auch jetzt im November galt es jeweils ein Todesopfer in Saint-Maur zu beklagen. Da der Ausnahmezustand mindestens bis Februar andauern wird, hat dies weitreichende Konsequenzen für das öffentliche Leben. Der Präfekt des Departements Val de Marne, der Innenminister, die Justizministerin und der Verteidigungsminister dürfen Ausgangssperren für bestimmte Orte und bestimmte Uhrzeiten verhängen, Aufenthaltsverbote für bestimmte Personen in bestimmten Gebieten aussprechen, Demonstrations- und Versammlungsverbote erlassen, Theater, Bars und Cafés oder sonstige Versammlungsorte vorübergehend schließen, Personen, die verdächtigt werden, etwas zu tun, das die allgemeine Sicherheit gefährdet, unter Hausarrest stellen. Häuser und Wohnungen dürfen zu jeder Tages- und Nachtzeit ohne richterlichen Beschluss durchsucht werden und die Presse und andere Veröffentlichungsorgane dürfen theoretisch kontrolliert und überwacht werden. Davon betroffen sind auch Kinovorführungen und Theaterstücke.
Regionalwahlen am 6. und 13. Dezember
Bis zu den schrecklichen Ereignissen fand ein lebhafter Wahlkampf statt um die Wählerstimmen in der neuen Region Paris-Ile de France, zu der auch unsere Partnerstadt gehört. 13 Listen kämpfen um die Sitze in dem Regionalparlament, das nach dem Verhältniswahlrecht auf 6 Jahre gewählt wird. Zwei herausragende Persönlichkeiten stehen dabei an der Spitze der relevanten Listen, Valérie Pécresse für die konservative Partei Sarkozys „Les Républicains“ und Claude Bartolone, zur Zeit Präsident der französischen Nationalversammlung für die „Parti Socialiste“, die Partei François Hollandes. Bei den Départementswahlen im März diesen Jahres siegten eindeutig die Konservativen es war aber auch ein deutlicher Zuwachs bei dem rechtsradikalen Front National zu verzeichnen. Nun ist der Wahlkampf vorläufig unterbrochen und niemand wagt mehr eine Prognose darüber wie sich die innenpolitische Dramatik auf das Wählerverhalten auswirken wird.
Sylvain Berrios, Bürgermeister seit 18 Monaten
Sylvain Berrios hat seinen Vorgänger aus zwei Wahlämtern verdrängt und ersetzt. Zuerst eroberte er den Sitz in der Nationalversammlung und seit 18 Monaten ist er auch Bürgermeister der 75.000 Einwohner von Saint-Maur. Die Doppelfunktion als „Député-Maire“ ist in Frankreich weit verbreitet. Der Bürgermeister argumentiert, dass er so am besten Zugang zu den Ministerien und den Entscheidern hat um die Belange der Gemeinde zu vertreten bzw. verteidigen zu können. Der Député argumentiert, dass er ohne die Verwurzelung in den Problemen einer Gemeinde vor Ort niemals eine sachdienliche Politik betreiben könne. In einem Interview mit der Gemeindepostille „Magazine municipal“ argumentiert Berrios genau auf dieser Linie. Ohne sein Amt in der Nationalversammlung hätte er u.a. keine Erfolge bei gravierenden Umweltproblemen in seiner Stadt erzielen können. Saint-Maur hätte niemals Gelder aus dem staatlichen Unterstützungsfonds bekommen um seine Probleme mit den toxischen Anleihen lindern zu können etc. Er bedauert in dem Interview auch, dass eine beängstigende Zahl seiner Gemeinderatsmitglieder und stellvertretenden Bürgermeister in der kurzen Zeit schon ihr Amt zur Verfügung gestellt haben. Jetzt auch Dominique Wagnon, die Bürgermeisterin, die für die Partnerschaften zuständig war und in dieser Funktion auch schon in Pforzheim weilte. Die offizielle Begründung war jeweils die Unvereinbarkeit von privatem und beruflichem Leben mit dem Amt angesichts des Tempos in der Kommunalpolitik, das Berrios vorgibt.
Saint-Maur in 10 Jahren
In eben diesem Interview antwortet Berrios auch auf die Frage wie er sich Saint-Maur in 10 Jahren vorstellt. „Dans dix ans, Saint-Maur aura surmonté ses difficultés financières et renforcé sa place parmi les 50 premières villes de France“. Die Pläne zur „Métropole du Grand Paris“, die in der Präsidentschaft Sarkozys entworfen wurden und von Hollande weiter umgesetzt werden, werden für das Mitglied Saint-Maur weitreichende Konsequenzen haben, vor allem wegen einer neuen Métrolinie, die durch Saint-Maur führen wird und den Bau eines gewaltigen unterirdischen mehrstöckigen Bahnhofs vorsieht. Berrios verspricht, dass er für den Erhalt des besonderen kleinteiligen Charakters unserer Partnerstadt kämpfen wird. Saint-Maur will nicht das 21.,22. oder 23. Arrondissement von Paris werden, es will seinen Wohnungsbau selbst bestimmen mit vielen Grünflächen, Wohnhäusern „à taille humaine“, einer starken kulturellen Strahlkraft und einem vielseitigen sportlichen Leben. In der Vision des jugendlich wirkenden Bürgermeisters soll Saint-Maur zum Vorbild für die Region im Umweltbewußtsein, dem Städtebau, der Qualität des öffentlichen Dienstes, der Schulbildung und der lokalen Finanzen werden.
Der Pariser Großraum, künftig wohl Paris-Ile-de-France genannt ist in einem gewaltigen Wandel begriffen, Sylvain Berrios ist äußerst wachsam, dass seine Stadt den Anschluss dazu nicht verpasst und den Wandel auch mitgestaltet.
Autor: Gerhard Herber, Deutsch-Französische Gesellschaft
Mit freundlicher Genehmigung der "Pforzheimer Zeitung" sowie www.pz-news.de