Für die nächsten drei Monate tauschen Welmoed Bosch aus den Niederlanden, Liina Lember aus Estland/Großbritannien und Nga Ching Ko aus China ihre Wohnorte Rotterdam, London und Hongkong gegen Pforzheim: Die drei Designerinnen beginnen das Stipendium „Designers in Residence“, das die Stadt Pforzheim in Kooperation mit der Hochschule Pforzheim und dem Design Center Baden-Württemberg jährlich ausschreibt. Bis Ende Juni können sie im EMMA – Kreativzentrum Pforzheim und in der Hochschule Pforzheim an ihren Projekten arbeiten.
„Wir freuen uns sehr, Welmoed Bosch, Liina Lember und Nga Ching Ko willkommen zu heißen – glücklicherweise können in diesem Jahr wieder alle drei Stipendiatinnen nach Pforzheim kommen und vom Austausch und dem Netzwerk vor Ort profitieren“, so Almut Benkert, Fachbereichsleiterin Kreativwirtschaft beim Eigenbetrieb Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim.
„Reine Design-Stipendien sind noch immer sehr selten, ich bin daher sehr froh, jetzt drei Monate lang die Möglichkeit zu haben, zu experimentieren und meine Arbeitsweise weiterzuentwickeln“, erzählt Welmoed Bosch. Die Modedesignerin aus den Niederlanden möchte eine Methode entwickeln, die den realen physischen Körper als Grundlage nimmt anstatt diesen in Mustern zu abstrahieren. „Ich möchte zeigen, dass die bisherigen Techniken der Schnittmustererstellung nicht neutral sind, sondern Idealbildern folgen und will, dass die Menschen die Schönheit in den anatomischen Unterschieden erkennen, die durch Kleidung verdeckt werden“, erklärt Welmoed Bosch. Der Herrenanzug ist für sie beispielhaft, da dieser nach einem männlichen Idealkörper modelliert wurde und den Körper in eine optimierte und angepasste Version seiner selbst verwandelt. Die Zeit in Pforzheim möchte sie daher nutzen, um die traditionelle Anzugfertigung mit ihrer anatomischen Schnittmustererstellung zu kombinieren.
Als Teil eines sozialen Gefüges ist es für den Menschen unerlässlich, mit anderen in Kontakt zu treten. Die Schmuckdesignerin Nga Ching Ko aus Hongkong beschäftigt sich in ihrer Serie „Inclusion“ mit den Nuancen des Ungesagten, die es Menschen in ihrem sozialen Umfeld möglich macht, zu interagieren und akzeptiert zu werden. Dabei lässt sie ihre eigenen Erfahrungen darüber, sich in einem neuen kulturellen Umfeld einzufinden und zu integrieren, in ihre Arbeit mit einfließen. „Meine Arbeiten spiegeln meine persönlichen Erfahrungen wieder, den Druck, der mit der Integration in eine soziale Gruppe einhergeht, sie zeigen den Prozess, dabei Kompromisse einzugehen und die Emotionen wie Widerstand, Kampf oder Wut“, so Nga Ching Ko, die aus Hongkong kommt und drei Jahre in Deutschland gelebt hat. In Pforzheim möchte sie sich mit „leeren Worten“ auseinander setzen: „Positive Komplimente sind ein sprachliches Mittel, um Verbindungen zu seinen Mitmenschen herzustellen. Worte wie gut, spannend oder interessant sind dabei nicht immer echte Komplimente, sondern oft leere Worte, die aus Höflichkeit oder zur Vermeidung von peinlichen Situationen gesagt werden. Während meiner Studienzeit in Deutschland habe ich festgestellt, wie selten ich ein negatives Urteil von Mitstudierenden oder Freunden höre – manche Komplimente werden dadurch für mich bedeutungslos“, erklärt Nga Ching Ko. In Pforzheim möchte sie ihre Interpretation von Komplimenten und kulturellen Unterschieden durch ihre Schmuckstücke greifbar machen und dazu mit verschiedenen Materialien wie Metall und Textilien arbeiten.
Liina Lember möchte den Aufenthalt in Pforzheim nutzen, um ihre bisherige Arbeit über Beleuchtung in Städten und Farbspektren mit einem Schwerpunkt auf Lichtverschmutzung zu vertiefen und weiterzuentwickeln. „Die Lichtverschmutzung ist ein bisher wenig beachtetes, aber allgegenwärtiges Problem, das Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, zirkadiane Rhythmen und auf Ökosysteme hat“, erklärt Liina Lember. Laut Lember nimmt die Lichtverschmutzung weltweit jedes Jahr um etwa 6 % zu und wird zusätzlich zu den genannten Problemen häufig mit Energie aus fossilen Brennstoffen erzeugt. Aus diesem Grund möchte Liina Lember folgenden Fragen nachgehen: Wie wirkt sich die auf den Menschen abgestimmte Beleuchtung in Städten auf andere Arten und Ökosysteme aus? Welche Rolle spielt dabei das Farbspektrum des Lichts? Und wie können neue technologische Lösungen, wie z. B. Sensoren, auf die Bedürfnisse der verschiedenen Nutzer reagieren und bestehende städtische Beleuchtungssysteme revolutionieren? Während des dreimonatigen Stipendiums möchte Liina Lember dazu eine interaktive Installation sowie eine Broschüre gestalten.
Die drei Designerinnen werden von April bis Juni 2022 in Pforzheim wohnen und im EMMA – Kreativzentrum Pforzheim an ihren Projekten arbeiten.
Für den Zeitraum des Stipendiums erhalten die Designerinnen eine kostenlose Unterkunft sowie eine monatliche finanzielle Förderung. Darüber hinaus können die Stipendiatinnen die Infrastruktur und die Angebote der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim im Rahmen des Stipendiums nutzen. Im Anschluss werden die Ergebnisse vom 2.-10. Juli 2022 in einer Ausstellung im EMMA – Kreativzentrum präsentiert, die Eröffnung der Ausstellung findet am 1. Juli 2022 um 19 Uhr statt.
Die Stipendiatinnen
Welmoed Bosch hat Modedesign an der Willem de Kooning Academy in Rotterdam studiert. Als Modedesignerin ist sie fasziniert von der Übersetzung der Anatomie in Kleidung. Ihre Arbeitsmethode basiert auf den technischen und haptischen Eigenschaften von Kleidung und multidisziplinärer theoretischer Forschung. Welmoed lebt in Rotterdam in den Niederlanden.
Nga Ching Ko ist in Hongkong geboren und aufgewachsen. 2014 machte sie ihren Abschluss in Schmuckdesign am Hong Kong Design Institute und ein Jahr später einen Bachelor-Abschluss in Schmuck- und Metallverarbeitung an der Sheffield Hallam University. Nach einer dreijährigen Tätigkeit in der Diamantenindustrie absolvierte sie an der Hochschule Trier, Campus Idar-Oberstein, einen Master in Edelstein- und Schmuckdesign. Führ ihre Abschlussarbeit „Inclusion“ wurde sie mit einem Marzee-Absolventenpreis im Rahmen der Marzee Absolventenschau 2021 ausgezeichnet.
Liina Lember ist eine multidisziplinäre Designerin aus Estland, die mit ihrer Arbeit eine Brücke zwischen Wissenschaft, Kunst und Design schlägt. Sie erforscht Themen wie bestehende soziale Normen, Beziehungen zu und Verständnis für nicht-menschliche Nutzer, neue Technologien, Anthropologie, Ökosysteme, Lichtverschmutzung und biologische Vielfalt. Ihr Schwerpunkt liegt auf Experimenten, Forschung und der Hinterfragung des Grenzbereichs zwischen plausiblen Zukunftsszenarios und alternativen Realitäten. Sie schloss 2016 den BA(Hons)-Kurs für Innenarchitektur an der Glasgow School of Art und im Juni 2021 den Kurs für Information Experience Design am Royal College of Art in London ab. Derzeit lebt und arbeitet sie in London.
EMMA – Kreativzentrum Pforzheim
Das EMMA – Kreativzentrum Pforzheim ist die zentrale Plattform für Pforzheims Kreative. In einem ehemaligen Jugendstilbad an der Enz gelegen, bietet das Kreativzentrum auf einer Fläche von 3.000 Quadratmeter Werkstatt-und Coworking-Arbeitsplätze, Ateliers, Büros und Ausstellungsflächen. Auch die Stadt selbst zeichnet sich durch eine lebendige Kreativszene mit Schwerpunkt auf den Bereich Design aus. Zahlreiche Hochschulabsolventen, Existenzgründerinnen und-gründer, Freelancer und Unternehmen aus der Kreativwirtschaft arbeiten in Pforzheim und beleben den Standort.
„Designers in Residence“ wird unterstützt von der Sparkasse Pforzheim Calw, C. Hafner GmbH + Co.KG, dem Rotary Club Pforzheim-Schloßberg und yellow design gmbh.
Kontakt:
Alexandra Vogt
Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim
Alexandra.vogt@ws-pforzheim.de
07231 39 1874